Nachhaltige Software(entwicklung) – was das?

Nachhaltige Software klingt mehr als zeitgemäß, schließlich ist Nachhaltigkeit in aller Munde. Aber reicht die Diskussion darüber? Was ist eigentlich gemeint und was folgt daraus? In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, warum Nachhaltigkeit auch in der IT so wichtig ist und was nachhaltig in diesem Fall bedeutet.

Ich werde mich dem Ganzen zunächst theoretisch nähern und dann immer mehr Praxisbezug herstellen. In Kürze folgt ein weiterer Betrag voller Techgenossen Insight, wie das mit der Theorie in deren Praxis aussieht.

Warum und wozu? Erstmal zur Theorie

Software wirkt nicht im luftleeren Raum, sondern hat die verschiedensten Auswirkungen in verschiedenerlei Hinsicht. Das sind vor allem wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen. Software stellt Unternehmen, Menschen und die Umwelt besser oder aber auch schlechter.

Software ist also mächtig, im Guten wie im Schlechten. Und so stellt sich die Verantwortungsfrage.

Eine Frage der Verantwortung

Dabei geht es um die individuelle und kollektive Verantwortlichkeit, nicht nur im Nachhinein für Aktivitäten gerade zu stehen, sondern im Vorhinein das Richtige zu tun #backward-looking responsibility #forward-looking responsibility

Das Ganze ist also eine ethische Fragestellung. “Das Richtige” heißt, Gutes zu tun und nicht nur nichts Schlechtes – immer in Bezug auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Die ökologische, die soziale und die wirtschaftliche.

Eine Wissenschaft für sich

Die beiden Hashtags oben haben schon ein Stück weit in die Theorie dahinter eingeleitet. Und es geht noch weiter, auch mit gestelzten englischen Fachbegriffen…

Das Fach, dem sie entspringen sind die sogenannten Science & Technology Studies, kurz STS. Diesem jungen Fachgebiet widmet sich auch mein Master der TU München Responsibility in Science, Engineering and Technology oder RESET. Daher die, excuse my french, Klugscheißerei.

In manchen Ohren mag das alles wie leere Buzzwords oder Bullshit Bingo klingen. Aber so inhaltslos ist das nicht. Auf die praktische Relevanz komme ich wie gesagt noch zu sprechen.

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage

Was wir von einer ethischen STS Perspektive auf Verantwortung lernen können, ist unter anderem Folgendes:

  1. Wir sind verantwortlich, für das, was wir tun müssen. Das ist die substanzielle Verantwortung #responsibility-as-obligation
  2. Wir sind verantwortlich, wo wir die Wahl haben und uns entscheiden. Das ist die zuzuschreibende Verantwortung #responsibility-as-virtue

Argumentieren und begründen kann man Nachhaltigkeit also 1. pragmatisch und 2. der Tugendethik nach – weil sie der Sache dienlich oder eben tugendhaft ist. Hier gehen wir entweder über die praktische Notwendigkeit oder den moralischen Anspruch.

Werte und Normen

Als wertebasiertes Konstrukt ist Nachhaltigkeit in ihren Ansprüchen klar normativ. Wir konstruieren sie und fordern die Werte ein, auf denen wir sie basieren. Das gilt auch für nachhaltige Software(entwicklung). Bleibt nur die Frage, wer mit wem und für wen (nicht) auf welcher Basis konstruiert oder eben entwickelt.

Denn wie gesagt wirkt Software und Technologie im Allgemeinen nicht im luftleeren Raum. Sie ist nicht neutral, schon gar nicht wertfrei. Und bevor sie zerstörerisch wirkt, sollten wir sie konstruktiv gestalten!

Dabei geht es nicht nur um das Endergebnis, sondern auch um den Weg dahin. Wichtige Werte hierbei sind:

  • Respekt für Mensch und Umwelt
  • Würde
  • Autonomie
  • Gerechtigkeit
  • Solidarität

In der Praxis

Was bedeutet all das in der Praxis? Vor allem im Hinblick auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit, sollten Softwarelösungen problemzentriert und gemeinwohlorientiert sein.

Das heißt, dass ihnen ein tatsächliches Problem und nicht nur eine Geschäftsmöglichkeit zugrunde liegt. Und weiter, dass die softwaremäßige Lösung dieses Problems ökosozialen Mehrwert mit sich bringt. Sie ist inklusiv und befähigt, anstatt Mensch oder Umwelt zu gefährden.

Auf den Punkt gebracht

So der Anspruch. Dafür müssen folgende Kriterien und Unterpunkte erfüllt werden:

  1. umweltschonender Ressourcen- & Energieverbrauch, geringe Emissionen
    • nachhaltige Lieferketten
    • Ökostrom
    • hohe Ladegeschwindigkeit
    • Darkmode, Bilder & Videos optimal eingesetzt
  2. Nutzungsautonomie & Schutz der Privatsphäre
    • Interoperabilität und so wenig Fremdressourcen erforderlich wie möglich
    • (freiwillige) Updates & Deinstallierbarkeit
    • minimaler Datentransfer, maximaler Datenschutz
    • nur notwendige Cookies und Tracking
    • Nutzende bestimmen über ihre Daten
  3. Barrierefreiheit & Inklusion
    • Berücksichtigung von Seh-, Hör-, geistigen und motorischen Behinderungen
    • Minderheitenschutz
    • Diversität in Text und Bild (u. a. geschlechtergerechte Sprache)

Auch das Wie spielt eine Rolle

Der Nachhaltigkeitsanspruch gilt sowohl für die Software als Produkt als auch für die Softwareentwicklung als Prozess. Dementsprechend muss auch der Weg zur nachhaltigen Software nachhaltig gestaltet sein. Zu berücksichtigen sind da vor allem folgende Punkte:

  • Diversität & Gleichberechtigung
  • wertschätzende und -stiftende Arbeitskultur
  • im Lern- statt Lehrmodus
  • Nutzung nachhaltiger Produkte, Dienstleistungen & Energieversorgung

Da geht noch mehr

Leider ist das Nachhaltigkeitsbewusstsein in der IT Branche meinem Eindruck nach, wenn überhaupt, eher produkt- und (noch) nicht prozessbezogen. Oder wie seht Ihr das? Meldet Euch gerne.

Natürlich gibt es Ausnahmen und Vorreiter. In einem weiteren Beitrag möchte ich deshalb ein paar Techgenossen Insights mit Euch teilen. Diesen findet Ihr in Kürze hier. Und auch bei Gute Seiten ist ein Blog zu dem Thema in der Mache, inklusive weiterer Showcases.

Ich hoffe, dass diese Übersicht Euch und der Sache dienlich schon einmal dienlich ist. Freut Euch auf mehr!